Jo Leinen, MdEP (c) Europäisches Parlament

Kann die Europawahl 2019 eine »Schicksalswahl« werden? Welche Rolle spielt Zivilgesellschaft wenn es um die Überwindung der wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit geht? - darum geht es im Beitrag von Jo Leinen, Mitglied des Europäischen Parlaments.

Die Menschen in Europa durchleben derzeit einen historischen Umbruch: Aufgrund der Automatisierung und Digitalisierung ändert sich für viele Menschen die Berufswelt. Auch die Migration nach Europa stellt Politik und Gesellschaft vor große Herausforderungen. Zentrale globale Problematiken wie der Klimawandel, die zukünftige Energieversorgung oder der steigende Meeresspiegel sind immer noch ungelöst. Für viele erscheint die Zukunft ungewiss. Zusätzlich hat der Populismus die politische Landschaft verändert und gefährdet das europäische Projekt indem er einfache Lösungen für komplexe Probleme suggeriert. Besonders in einigen Mitgliedstaaten haben anti-europäische Ressentiments den Weg in den politischen Mainstream gefunden und Werte, die wir für das Funktionieren der Europäischen Union als grundlegend erachten, werden in Frage gestellt.

Für das erfolgreiche Überwinden dieser Herausforderungen ist die Zivilgesellschaft in Europa von zentraler Bedeutung. Neben den klassischen pro-europäischen Organisationen gibt es immer mehr Bürgerinitiativen wie »Pulse of Europe« oder »Volt«, welche sich den anti-europäischen Plattitüden entgegenstellen und Europa verbessern wollen, anstatt es grundsätzlich abzulehnen und als Sündenbock zu missbrauchen. Die Distanz zwischen den Menschen und den EU-Institutionen, sei sie gefühlt oder real, kann nur durch engagierte Menschen und eine politisierte Öffentlichkeit überwunden werden. Die pro-europäische Zivilgesellschaft bildet deshalb das Herz der gelebten europäischen Demokratie.

Die großen Herausforderungen unserer Zeit werden sich nicht im nationalen Kontext lösen: weder die Migration, noch die Frage der sozialen Gerechtigkeit in einem sich rapide ändernden wirtschaftlichen Umfeld oder die Garantie der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Dies muss gerade in der anstehenden Europawahl kommuniziert und diskutiert werden. Auch dafür ist die Zivilgesellschaft unerlässlich, nicht zuletzt, um die Parteien und Kandidat*innen auf ihre Haltung zu Europa zu prüfen, und wenn nötig, auch den Finger in die Wunde zu legen.

Die Europawahl 2019 kann durchaus als Schicksalswahl bezeichnet werden. Mehr als früher steht die Frage im Raum, ob sich die europäischen Völker weiterhin für Solidarität und ein Zusammenwachsen entscheiden, oder für Abschottung und Kleinstaaterei. Ohne bürgerschaftliches Engagement könnte vieles von dem, das heute als selbstverständlich gilt, ernsthaft in Gefahr geraten.

 

Autor:
Jo Leinen, Mitglied des Europäischen Parlaments