Dorfbild

Was das bürgerschaftliche Engagement im ländlichen Raum leistet und wie es das Gemeinwesen vor Ort stärkt beschreiben Dr. Thomas Röbke, Vorsitzender des BBE SprecherInnenrates und Danielle Rodarius, Mitarbeiterin im Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern e. V.

Was leistet das bürgerschaftliche Engagement im ländlichen Raum?

Gehen wir einmal von zwei sehr gegensätzlichen Szenarien aus: Da ist zum einen eine Gemeinde, die seit den 1970er-Jahren im sogenannten „Speckgürtel“ einer Großstadt ihre Einwohner*innenzahl fast verdoppelte, dies aber paradoxerweise nichts Gutes für das bürgerschaftliche Dorfleben bedeutete. Die Gemeinde war eher Schlafstätte für Menschen, die in der Stadt arbeiteten, aber wegen der günstigen Grundstücke und der kleinen Kinder aufs Land zogen. Die traditionellen Vereine profitierten kaum von den neu Hinzugezogenen, weil die (noch) keinen Bezug dazu fanden, bis die Kinder langsam in den Vereinen auftauchten. Und als die Kinder groß waren und wegen des Studiums das Zuhause verließen, blieben die Eltern, mittlerweile im Ruhestand, und entdeckten die Freizeitqualitäten des Ortes.

Da ist zum anderen die Gemeinde, die in den 1970er-Jahren noch von einer blühenden Porzellanindustrie geprägt war. Über Nacht dann die Schließung des Werkes. Hohe Arbeitslosigkeit und Abwanderung der Jungen waren unvermeidlich, im Gefolge weitere Niedergänge. Die hoch verschuldete Gemeinde konnte ihre freiwilligen Leistungen nicht mehr erbringen. Der letzte Laden im Dorfkern musste schließen, Post und Sparkasse folgten. Dann aber das Wunder: Das kommunale Bad, das eigentlich hätte dicht machen müssen, wurde von einem Verein in ehrenamtlicher Arbeit weiterbetrieben. Dieser Erfolg ermunterte eine weitere Initiative zur Gründung eines Dorfladens auf Genossenschaftsbasis. Auch eine Bürgerbuslinie wurde ins Leben gerufen, die den älteren und nicht mehr so mobilen Bewohner*innen den Weg zum Einkaufen ermöglicht.

Zwei Gemeinden, die unterschiedlicher nicht sein können, aber beide zeigen auf ihre Weise die Kraft des bürgerschaftlichen Engagements: als Freizeitfaktor, als wesentliche Ergänzung der kommunalen Daseinsvorsorge, als Haltefaktor, der das Leben auf dem Lande lebenswert macht.

Es ist nicht nur die Einkommenssituation, nicht nur die Abwanderung, es zählen nicht allein Infrastrukturen wie Arztpraxen oder Postfilialen. Es ist vor allem die Engagementbereitschaft der Bürger*innen und die Stabilität der zivilgesellschaftlichen Infrastrukturen, zum Beispiel der Vereine und Kirchengemeinden, sowie die Bereitschaft, das neue Wohnumfeld als Zuhause anzunehmen, für sich und die Kinder.

Bürgerschaftliches Engagement muss Gemeinschaft und Beheimatung ermöglichen, indem es ein stabiles Netzwerk vertrauensvoller, freiwillig eingegangener Beziehungen erzeugt. Wenn das bürgerschaftliche Engagement eines Dorfes Gemeinschaft und Selbstausdruck, Tradition und Innovation, Offenheit und Verbundenheit gut ausbalanciert, dann ist es gegenüber widrigen Zeitläufen und gegen antidemokratische Affekte widerstandsfähiger.

Wichtig ist, dass Engagierte die Wirksamkeit ihrer Beteiligung erfahren, Beteiligungsprozesse dürfen nicht nach den ersten Schritten im Sande verlaufen. Dazu braucht es auch einen langen Atem, gegenseitiges Verständnis auf allen Seiten und ein gemeinsames Ziel: das Gemeinwesen vor Ort zu stärken.

 

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Beitrags "Engagement fördernde Infrastrukturen im ländlichen Raum", zuerst erschienen in der Broschüre Von wegen gähnende Leere

Autor*innen:
Dr. Thomas Röbke, Vorsitzender des SprecherInnenrates des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE), geschäftsführender Vorstand des Landesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement Bayern e. V.
Danielle Rodarius, Mitarbeiterin im Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern e. V., Ansprechpartnerin für die Projekte „Zentrum für nachhaltige Kommunalentwicklung in Bayern“ und „RENN.süd“ (Regionale Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien)