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Von Friedrich Hölderlin stammt die vielzitierte Gedichtzeile „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. Ein Hoffnungsschimmer in dieser so unübersichtlichen Zeit kommt derzeit vor allem aus der Zivilgesellschaft. Das Rettende fällt nicht vom Himmel, sondern liegt in unserem Wollen und Handeln.

Es geht um Wollen und Handeln, das nicht bei guten Vorsätzen bleibt, sondern sich in konsequentem und gemeinschaftlichem Handeln fortsetzt. Der wachsende Protest der Jungen gegen die fortschreitende Vernichtung der Lebensgrundlagen kann Zuversicht geben. Es reicht nicht mehr, wenn wir Erwachsenen unseren Lebensstil überdenken, wir müssen jetzt endlich etwas tun.

Die vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen erweisen gerade in diesen kritischen Zeiten ihren unermesslichen Wert. Es war ein ehrenamtlich geführter Entomologenverein, der erstmals den dramatischen Rückgang der Insektenpopulation nachgewiesen hat. Es ist die Schüler*innenbewegung Fridays for Future, die ein globales Ausrufezeichen setzt, dass sich jetzt und nicht erst 2030 etwas ändern muss. Es sind die lokalen Foodsaving-Gruppen, die Repair-Cafés, die Coffee to go again Initiativen, die zeigen, dass es anders und besser gehen könnte. Ein nachhaltiger Lebensstil ist möglich und kann sogar Spaß machen.

Auch in anderen Bereichen sät die Zivilgesellschaft Hoffnung. In diesem Frühjahr trafen sich auf Initiative des BBE über fünfzig Initiativen für ein offenes und gemeinsames Europa in Berlin. Die Bandbreite war beeindruckend: Von einer Gruppe, die sich für kostenlose Interrail-Tickets einsetzt, damit Jugendliche Europa erkunden können, bis zu Pulse of Europe oder klassischen deutsch-französischen Freundschaftsvereinen, die schon in den 1950er Jahren dafür eintraten, dass in Europa nie wieder Krieg geführt werden darf.

Auch der nun wieder oft zitierte Begriff der Heimat kann von zivilgesellschaftlichen Denkanstößen profitieren. In der Vermächtnisstudie des Wissenschaftszentrums Berlin wird deutlich, wie ambivalent dieser Begriff ist. Heimat bedeutet für die Menschen in Deutschland ein Ort der Geborgenheit, an dem wir Freunde und Familie um uns haben. Aber dieses Wir- Gefühl setzt sich nicht in die Gesellschaft fort. Oft wird das, was über Familiensinn und Freundeskreis hinausgeht, als fremd, vielleicht sogar als bedrohlich wahrgenommen. Mit anderen Worten: es fehlen Brückenschläge vom Ich zum Wir, zu einer Offenheit für Andere. Gerade hier aber ist Zivilgesellschaft stark. Vereine vor Ort stehen für alle offen und sind zugleich ein Ort der Beheimatung. Es ist beispielsweise erstaunlich, wie viele Sportvereine nach den Fluchtbewegungen von 2015 auf Integration gesetzt haben. Sie haben junge Geflüchtete in ihren Mannschaften aufgenommen, oft sogar neue Sportarten wie Cricket integriert und damit ihr Angebot erweitert. Kirchengemeinden, Freiwilligenagenturen, informelle Helfer*innenkreise taten an vielen Orten ähnlich Wertvolles für die Integration. Sie haben damit, bei allen Ambivalenzen, die wir bis heute spüren, einer neuen Erfahrung des Rettenden den Boden bereitet. Vielleicht, so meinte der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, werden wir uns später an diese einschneidende Zeit als einen Epochenbruch erinnern, der einer ganzen Generation ein neues Gemeinschaftsgefühl vermittelte – so wie es vielleicht letztmalig die Studierendenbewegung 1968 für eine frühere Generation getan hatte. Ein Heimatgefühl, das Geborgenheit und Offenheit friedlich verbinden kann. Eine moderne Form gesellschaftlichen Zusammenhaltes, die Freiheit und Bindung in ein gutes Verhältnis bringen kann, ohne Konflikte und kulturelle Verschiedenheiten zu ignorieren. Man sollte auch politisch deutlich mehr anerkennen, was bürgerschaftliches Engagement für diesen gesellschaftlichen Zusammenhalt Tag für Tag an vielen Orten in Deutschland leistet.

 

Autor:
Dr. Thomas Röbke ist Vorsitzender des BBE-Sprecher*innenrates und geschäftsführender Vorstand des Landesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement Bayern e.V.
Er publiziert zu Themen des bürgerschaftlichen Engagements und des Vereinswesens, der Kulturpolitik, Sozialplanung und Soziokultur.