Zwei Schüler*innen sitzen vor einem PC, um sie herum sieht man technisches Equipment. Sie nehmen eine barrierefreie Sendung für eine Schulprojekt auf, das Mädchen spricht dazu in ein Aufnahmegerät.

AG Inklusive Medien – Integrierte Gesamtschule Bonn © Aktion Mensch e.V.

Schon vor Corona benutzten Freiwilligenagenturen selbstverständlich Webseiten zur Vermittlung von Engagement. Einige setzten auch schon ab und zu Telefon- und Videokonferenzen ein. Komplett digital an einem gemeinsamen Projekt arbeiten, war eher eine Seltenheit. Dann kam Corona.

Die Hilfsbereitschaft war groß, doch wir konnten uns nicht mehr so einfach treffen. Wir lernten, wie wir digital Lernen, Arbeiten und unsere Freizeit verbringen konnten. Auch die Freiwilligenagenturen versuchten, freiwilliges Engagement komplett digital zu vermitteln. Doch das ist gar nicht so einfach.

Die digitalen Möglichkeiten können nicht alle Menschen nutzen

Denn es zeigte sich ein echtes Problem: Es gibt Menschen, denen es sehr schwerfällt, beim digitalen Fortschritt mitzuhalten. So gibt es zum Beispiel Menschen, die keinen eigenen Computer haben, der Internetanschluss fehlt oder das Datenvolumen ist begrenzt. Anderen fehlt das Wissen, wie man im Internet Informationen findet oder wie Anwendungen, Apps oder Geräte funktionieren. Dazu kommt, dass Webseiten, Videos, Programme oder Geräte nicht barrierefrei sind. Corona hat uns gezeigt, wie stark manche Menschen von der neuen digitalen Welt ausgeschlossen sind: Am Anfang von Corona, gab es kaum Informationen für gehörlose Menschen oder Menschen mit Lernbehinderung. Eine sehr schlimme Situation, wenn gerade eine völlig neue weltweite Krise beginnt. Später sollten Kinder am digitalen Unterricht teilnehmen. Aber nicht alle Familien hatten einen Computer oder konnten sich einen kaufen. Das Geld fehlte diesen Familien einfach. Einige ältere Menschen hatten keine Ahnung, wie sie sich einen Termin zum Impfen auf einer Webseite besorgen sollten. Dann waren Geschäfte geschlossen: Wie soll man sich Schuhe kaufen, wenn man keinen Internetanschluss hat? Für all diese Menschen ist es sehr schwer, überall dabei zu sein. Und freiwilliges Engagement nur noch digital zu vermitteln, bedeutet im Moment diese Menschen auszuschließen.

Engagement durch neue digitale Möglichkeiten

Doch die digitale Technik bietet auch neue Möglichkeiten.So können sich Menschen digital engagieren, egal wo sie gerade wohnen. Mit einem Internetanschluss und einem Laptop können sie sich auch noch von Hamburg aus bei ihrem Kulturverein in Schwäbisch Gmünd engagieren. Das ist auch ein großer Vorteil für Menschen, die nicht so leicht reisen können oder es nicht wollen: zum Beispiel ältere Menschen, Rollstuhlfahrer*innen oder Menschen, die sich Fahrten mit Bus und Bahn nicht so oft leisten können, engagieren sich einfach von zu Hause aus. Und die Möglichkeiten für ein digitales Engagement werden immer mehr: Nachhilfe per Videokonferenz, Hilfe und Unterstützung bei Bewerbungen oder Briefen vom Amt per E-Mail, Gespräche per Telefon, Chat oder Video mit Menschen, die sich einsam fühlen.

Blinde Menschen können sich durch Apps, die zum Beispiel Text vorlesen, Farben erkennen oder einen durch fremde Städte leiten, viel leichter engagieren. Menschen, die nicht gut deutsch sprechen können, die Gehörlos sind oder die eine Sprachbehinderung haben, benutzen Sprachcomputer und Übersetzungsprogramme. Diese digitalen Helfer*innen unterstützen das selbstständige Leben dieser Menschen. Sie können sich so viel leichter engagieren.

Und einige Menschen können an Konferenzen überhaupt erst teilnehmen, weil sie digital sind: wie zum Beispiel Menschen, die sich in großen Menschenmengen, an fremden Orten oder bei zu vielen Geräuschen sehr unwohl fühlen.

Ein weiterer Vorteil der digitalen Welt: Menschen von überall her kommen in Kontakt, tauschen leichter Wissen miteinander und bleiben in Kontakt. Und sie können sich als starke Gemeinschaft zeigen und organisieren: So konnten die Teilnehmer*innen zum Beispiel die Demonstrationen von Fridays for Future durch digitale Technik sehr viel leichter organisieren.

Neue digitale Möglichkeiten nutzen und Barrieren abbauen

Die Digitalisierung geht nicht mehr weg. Für eine gerechte und gleichberechtige Gesellschaft ist es deswegen sehr wichtig, dass auch in der digitalen Welt alle Menschen überall dabei sein können. Damit alle Menschen überall mitmachen können, müssen Informationen, Programme, Webseiten, Videos und Geräte barrierefrei sein. Noch besser wäre es, wenn Menschen mit Behinderung schon bei der Entwicklung neuer Technik mitmachen können. Jedenfalls sollten möglichst viele unterschiedliche Menschen mitreden, wenn es darum geht, neue Technik einzuführen.

Die Beispiele oben zeigen aber auch noch weitere Barrieren: Geld zum Beispiel oder fehlendes Wissen, wie man die digitale Technik benutzt. Manche Menschen in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Menschen in Seniorenheimen fehlt auch der Zugang zur Technik. Wenn es kein Personal und keine Computer oder Handys mit Interanschluss gibt, können sie die digitale Technik nicht kennenlernen und nutzen. Das muss sich ändern.

Für viele Freiwilligenagenturen ist es nicht so einfach, barrierefrei zu werden: Oft fehlt das Geld, um Webseiten, Videos, Programme oder PDFs barrierefrei zu machen. Manchmal fehlt auch das Wissen, die Zeit oder der Wille, barrierefreie Möglichkeiten anzubieten. Jedenfalls sieht man es vielen, vielen Webseiten an, dass niemand an Barrierefreiheit gedacht hat. Hier kann noch viel mehr passieren. Hier muss noch viel mehr passieren.

Veränderungen kosten immer Kraft. Wenn man etwas schon immer so gemacht hat, dann ist es auch sehr einfach, es auch weiterhin so zu machen. Doch die Digitalisierung fordert Veränderung, egal ob wir das wollen oder nicht. Dann wäre es doch das Beste, wenn wir gemeinsam daran arbeiten, dass alle Menschen dabei sein können.

Das BBE zeigt mit diesem SonderInfoletter, wie man starten kann: Texte in einer einfacheren Sprache anbieten. Es gibt noch weitere Möglichkeiten, die nur wenig Geld und Aufwand bedeuten: Zum Beispiel auf Webseiten eine Schriftart wählen, die Serifenfrei ist, wie die Schriftarten Verdana oder Arial. Eine größere Schrift hilft vielen Menschen, die nicht so gut sehen können. Neue Technik sollte erst von unterschiedlichen Menschen getestet werden, bevor sie gekauft wird. Es gibt schon viele Apps oder Geräte, die barrierearm sind. Je mehr Menschen dabei sind, neue Technik einzuführen, desto eher wird die neue Technik auch von allen akzeptiert.

Kaum einer oder eine kann sofort alles barrierefrei anbieten und an jede*n denken. Doch wir können mit ersten Schritten damit anfangen. Und man kann sich Hilfe holen: Die Aktion Mensch und die bagfa bieten kostenlos Informationen, Beispiele und Schulungen an, wie wir alle Schritt für Schritt barrierefreier und digitaler werden können.

Denn für eine gerechte, starke und digitale Gesellschaft brauchen wir alle Menschen.


Autoren:
Tobias Kemnitzer ist seit 2009 Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen e. V. (bagfa).
Alexander Westheide ist Experte für inklusives Engagement bei der Aktion Mensch e.V.