(c) Christian Schneider

BBE Engagement-Botschafterin Katja Sinko setzt sich mit ihrer Kampagne THE EUROPEAN MOMENT für eine grundlegende Erneuerung der EU ein. Lesen Sie im Interview mit dem Magazin enorm, warum sie diese Kampagne ins Leben gerufen hat und wie ihre Ziele erreicht werden sollen.

Frau Sinko, Sie sollten gerade Ihre Masterarbeit schreiben. Stattdessen haben Sie die vergangenen anderthalb Jahre dem Kampf für ein besseres Europa gewidmet. Woher kommt diese Leidenschaft?

Den Ausschlag hat das Horrorjahr 2016 gegeben. Ich weiß genau, wie ich am 24. Juni nach dem Brexit-Referendum aufgewacht bin und einfach nicht fassen konnte, was da passiert ist. Die europäische Einigung, die Freizügigkeit – Dinge, die für mich immer eine Selbstverständlichkeit waren, standen plötzlich auf dem Spiel. Dazu kamen die endlosen Debatten über den Aufstieg der AfD und die Wahl von Donald Trump im selben Jahr. Da wusste ich, dass ich etwas unternehmen muss. Ich habe mein Studium pausiert und THE EUROPEAN MOMENT ins Leben gerufen.

Eine Kampagne, die sich für das europäische Projekt einsetzt. Worum geht es Ihnen dabei genau?

Um eine grundlegende Erneuerung der EU. Wir wollen Europa, aber ein anderes Europa: Eine Union der Bürger*innen, ein Europa der Demokratie, der Nachhaltigkeit und der Solidarität. Ein Europa, in dem die Freiheit der Menschen durch eine starke Sozialpolitik ermöglicht und die Chancengleichheit aller gefördert wird.  Mir ist bewusst, dass meine Generation in den nördlichen EU-Ländern in einer sehr privilegierten Situation ist. Viele haben von den Vorzügen eines geeinten Europas profitiert, Erasmus gemacht, sie sind gut ausgebildet und ihnen stehen alle Chancen offen. Zugleich geht es jungen Menschen in Ländern wie Spanien, Italien oder Griechenland oft schlecht. Sie haben keine Jobs und sehen in ihrer Heimat keine Zukunft für sich. Sie sind politisch enttäuscht – von den Regierungen ihrer Nationalstaaten, aber auch von der EU. Wir wollen mit unserer Vision einen Beitrag zur Debatte über die Zukunft Europas leisten und helfen, ihnen den Glauben an Europa zurückzugeben.

Das heißt, Sie und Ihre Mitstreiter*innen haben eine Reformagenda für die EU entworfen?

Im ersten Schritt nicht. Es ging uns darum, die zahlreichen proeuropäischen Organisationen und Initiativen, die es ja überall gibt, miteinander zu vernetzten. Sie setzen sich im Grunde alle für dasselbe Ziel ein, aber jeder kocht sein eigenes Süppchen. Deshalb haben wir so viele Initiativen wie möglich an einen Tisch gebracht, nach gemeinsamen Forderungen gesucht und für die bestmöglichen Lösungen gestritten. Das ging von links bis konservativ. Natürlich kommt bei so etwas zunächst nur der kleinste gemeinsame Nenner heraus. Aber schließlich ist es uns gelungen, 13 ganz konkrete Forderungen in unserer e-Petition »Bundestag mach’s europäisch« zu formulieren, um die EU und ihre Institutionen zu reformieren und zu demokratisieren.

Was sind das für Forderungen?

Dabei geht es zum Beispiel um ein besseres transnationales Wahlrecht: Menschen in Deutschland sollten auch Kandidat*innen in anderen Ländern wählen können – Macron, Varoufakis oder wem auch immer sie vertrauen. Außerdem müsste der Europäische Gerichtshof Sanktionen verhängen dürfen, wenn einzelne EU-Länder gegen europäisches Recht und gemeinsame Werte verstoßen. Wenn es nach mir persönlich ginge, könnte auch der Europäische Rat sofort abgeschafft werden, weil die Staats- und Regierungschefs ihn vor allem dazu nutzen, nationalstaatliche Interessen durchzusetzen, aber nicht, um das europäische Gemeinwohl zu wahren.

Was ist es, was Europa aus Ihrer Sicht am meisten fehlt?

Eine solidarische Komponente. Die EU war erst eine Wirtschaftsunion und hat sich dann immer mehr auch zu einer politischen entwickelt. Aber die Krise zeigt, dass der Gedanke der europäischen Solidarität dabei zu kurz gekommen ist. Nehmen Sie etwa Griechenland: Viele haben gefordert, das Land aus der EU zu werfen. Das würde innerhalb Deutschlands kein Mensch von einzelnen Ländern sagen, nur weil zum Beispiel Berlin ein Schuldenproblem hat. Stattdessen gibt es den Länderfinanzausgleich. Innerhalb der Nation ist man solidarisch, warum nicht auf europäischer Ebene? Die EU ist das Erfolgsprojekt des 20. Jahrhundert. Aber wir leben im 21. Jahrhundert und müssen sie weiterentwickeln.

Auf der Website von THE EUROPEAN MOMENT begrüßen Sie Besucher mit dem Satz »Sorry, wir sind spät dran, aber jetzt wird Europa gerettet!« Kommt Ihre Kampagne noch rechtzeitig?

Normalerweise bin ich sehr optimistisch. Aber das Zeitfenster schließt sich, wir müssen endlich in die Gänge kommen. Wir dürfen die Zukunft nicht allein den Politikerinnen und Politikern überlassen, jede und jeder einzelne kann etwas tun. Im Zuge des March For A New Europe habe ich zum Beispiel kürzlich einen gemeinsam verfassten Offenen Brief als Petition auf Change.org gestartet, in dem über 30 proeuropäische Initiativen die Kanzlerin zur Erneuerung Europas aufrufen. Die kann jeder, der sich zwei Minuten Zeit nimmt, online unterzeichnen. Wir wollen damit zum Nachdenken anregen, wie Europa von Grund auf neu gedacht werden kann. Ich will nicht nach der Europawahl am 26. Mai 2019 einen Moment erleben wie nach dem Brexit – dass ich aufwache und mich in einem Albtraum wiederfinde.

Die Petition ist im Internet unter www.change.org/neweurope zu finden.

Weitere Informationen zu THE EUROPEAN MOMENT