Unser Engagement-Botschafter Klaus Hirrich berichtet im Interview mit dem Magazin enorm wie sich sein Verein zur Förderung ökologisch-ökonomisch angemessener Lebensverhältnisse in den letzten 30 Jahren entwickelt hat. Und wie der Fall der Mauer als Katalysator diente, der ungeheure Energie für das Engagement im Ort freisetzte.
Herr Hirrich, in den knapp 30 Jahren nach der Wende hat Ihr „Verein zur Förderung ökologisch-ökonomisch angemessener Lebensverhältnisse“, kurz FAL e. V., einen sowjetischen Truppenübungsplatz in ein Naturschutzgebiet von europäischem Rang verwandelt. Im Wangeliner Garten haben Sie die Vielfalt kultiviert: Duftblumen, Heilpflanzen, Naturwiese! Darf man das auch symbolisch für die Idee einer offenen Gesellschaft verstehen?
Das ist ein schöner Gedanke. Und ja, so kann man es sehen. In unserem Garten hat selbst die von den meisten ungeliebte Brennnessel ihren Platz und eine Bedeutung als Heilpflanze und Nahrung für viele Insekten und Schmetterlinge. Wertschätzung ist immens wichtig für den respektvollen Umgang miteinander. Wir hier sind zwar eigensinnig und sehr selbstbestimmt, verstehen uns aber auch als ein Labor für gesellschaftliche Entwicklung. Wir wachsen aus uns heraus und wissen nicht, wohin das führt – das ist sehr spannend.
Ursprünglich ging es uns aber um etwas anderes. Wir wollten den Lärm des Schießplatzes eindämmen und dann, nach der Wende, den Menschen hier in der Region eine sinnvolle Beschäftigung ermöglichen. Viele wurden ja arbeitslos, andere zogen fort in die Städte. Es ging darum, den Menschen, die hierbleiben wollten, eine Perspektive zu schaffen. Zuerst pflanzten wir Bäume und Sträucher. Als uns dann später jemand aus dem Bundesamt für Naturschutz –es ist immer noch in Bonn – besuchte, der sich mit Botanischen Gärten auskannte, brachte der uns auf die Idee für diese vielseitige Gartenanlage und übernahm sogar selbst die Planung. So wurden Menschen wie er zu Freunden und Unterstützern unserer Region.
Heute kommen Besucher aus aller Welt hierher. Die Unterstützung durch diverse EU-Programme hat im Laufe der Jahre ein internationales Netzwerk entstehen lassen. Mithilfe von Austauschprogrammen konnten Menschen aus unserer Region – die noch nie außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern waren – in andere europäische Länder reisen. Dort haben sie erfahren können, wie toll die Leute auch andernorts sind. Über den eigenen Horizont hinauszublicken halte ich für unbedingt notwendig für die Verständigung und das Zusammenleben.
Der Verfall alter Strukturen bildete die Grundlage für die heutige Gestaltung von Wangelin. Braucht es eine besondere Perspektive auf das Vergehen, um darin ein Potenzial für die Zukunft zu erkennen? Und wenn ja, welche wäre das?
Ich kann nicht sagen, ob es eine besondere Perspektive war oder nicht vielmehr die Notwendigkeit, beflügelt von Gefühlen. Nach der Wende herrschten hier in der Region vor allem zwei Gefühle, die sicher als Katalysator dienten: die Angst vor einer ungewissen Zukunft und das Gefühl grenzenloser Freiheit. Und dieses Gefühl von Freiheit und Möglichkeiten hat in den meisten hier eine ungeheure Energie freigesetzt.
Neben dem Garten gibt es diverse andere Initiativen des FAL e. V., wie die Europäische Bildungsstätte für Lehmbau. Dort lassen sich Menschen im Lehmbau ausbilden.
Das ist richtig. Die Europäische Bildungsstätte leistet einen wichtigen Beitrag zu den experimentellen ökologischen Bauten auf unserem Gelände. Zusammen mit europäischen Partnern haben wir Bildungsprogramme für Lehmbau auf EU-Ebene entwickelt. Gemeinsam mit der Handwerkskammer bilden wir Handwerker aus. Hier lehren sogar ein israelischer Kalkputzspezialist und einen japanischer Lehmbaumeister. Darüber hinaus haben wir eine Mosterei, eine Art Obstmanufaktur, die Säfte und Aufstriche produziert. Und wir bieten Workcamps für Jugendliche an. 150 bis 200 junge Menschen können bei uns in der Region mit Backöfen, Solaranlagen und vielem mehr experimentieren, um zukunftsfähige Berufsfelder zu entdecken und zu erfinden. Das ist etwas, das es so andernorts nicht gibt.
Zusätzlich zieht vor allem der Garten von April bis September viele Menschen an – es gibt Führungen zu bestimmten Pflanzenthemen, einen originellen Kinderspielplatz und ein Café, in dem verrückte Dinge, alle aus unserem Garten, angeboten werden. Heute beispielsweise gibt es Maulbeerkuchen mit Lavendelcreme. Darüber hinaus kann man herrliche Fahrradtouren in der Region und zum Plauer See unternehmen. Und wir bieten experimentelle Übernachtungsmöglichkeiten an – man schläft bei uns beispielsweise in ökologisch umgebauten Wohnwagen oder in Häusern, die mit verschiedenen Stroh- und Lehmbautechniken errichtet wurden.
Sie sind für Ihr bürgerschaftliches Engagement ausgezeichnet worden und heute Botschafter für Engagement in ländlichen Räumen. Was möchten Sie anderen Menschen mit auf den Weg geben, die es Ihnen gleichtun wollen?
Zuerst muss ich sagen: Dass ich jetzt Botschafter für bürgerschaftliches Engagement bin, ist vor allem dem Zusammenhalt unserer Gemeinschaft zu verdanken. Bürgerschaftliches Engagement bedeutet für mich: nicht reden, sondern machen. Ebenso wichtig ist, nicht gegen etwas zu arbeiten, sondern für etwas. Das erzeugt eine ganz andere Energie. Und: Man sollte nicht auf Wunder warten, sondern selbst Wunder schaffen.
Wenn Sie heute in die Zukunft blicken, was sind Ihre Pläne?
An Ideen und Plänen mangelt es nicht. Hier ist in den letzten Jahren sehr viel entstanden. Das zu erhalten und zu konsolidieren kostet eine Menge Zeit und Arbeit. Wir wollen darüber hinaus die Lehmbauwerkstatt weiter ausbauen und auch den Hotelbetrieb erweitern – da gibt es tolle, ökologisch spannende Ideen für weitere „verrückte Hotelzimmer“. Außerdem haben wir hier 70 alte Obstbaumsorten angepflanzt und möchten die Idee einer ökologischen Baumschule weiterverfolgen.
Herr Hirrich, wie kann man Sie, Ihren Verein und Ihre zahlreichen Projekte am besten unterstützen?
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum einen hilft uns die moralische Unterstützung, also das Gefühl, dass das, was wir tun, einen Sinn hat und Zuspruch erfährt. Das Überleben des Wangeliner Gartens sicherzustellen, ist jedes Jahr eine große Herausforderung. Deshalb helfen uns natürlich auch Spenden. Vor allem aber gibt es so viele Ideen und Möglichkeiten, dass wir uns über Menschen freuen, die sich gemeinsam mit uns für die Region einsetzen möchten. Wer gern seinen Traum von einer eigenen Kräutermanufaktur verwirklichen will, dem stehen beispielsweise hier die Türen offen. Menschen, die aus der Welt zu uns kommen, möchten oft etwas mit nach Hause nehmen, und wenn jemand mehr als Tee, Kräuteressig und Öle, Säfte und Aufstriche produzieren würde, fände der hier interessierte Abnehmer. Nicht zuletzt können wir auch Land bereitstellen für genossenschaftliche Wohnbauprojekte und vieles mehr. Das alles sollen aber bitte Menschen machen, die es wirklich wollen und mit dem Herzen dabei sind. Wir sind immer offen für neue Ideen.
Spendenkonto: FAL e. V., IBAN DE 12 1405 1362 1301 0020 00, BIC NOLADE21PCH Sparkasse Parchim-Lübz
Weitere Infos über:
www.fal-ev.de
www.wangeliner-garten.de
www.lernpunktlehm.de