Bürgerschaftliches Engagement für Klimaschutz kann nicht nur den Klimaschutz vorwärtsbringen, sondern auch das bürgerschaftliche Engagement. Für beides braucht es gesellschaftlich strukturelle Voraussetzungen.
Wesentliches Merkmal von Demokratie und Rechtsstaat ist die öffentliche Debatte, der politische Entscheidungen und Handlungen folgen. Jedoch ist die Komplexität der zahlreichen aktuellen ökologischen und sozialen Herausforderungen nicht umfänglich kommunizierbar. Es braucht geeignete Themen, an denen die Debatte um die Gestaltung der nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft exemplarisch geführt werden und auf andere Themen transferiert werden kann.
In meiner Erfahrung in der ökologischen und politischen Bildung, sowie der Engagementförderung mit Jugendlichen und Erwachsenen zeigt sich neben dem Thema „Ernährung“ das Klimathema als besonders geeignet.
Warum Klimaschutz die Zivilgesellschaft zum Engagement animiert
Auch wenn Verschwörungstheoretiker es nicht glauben wollen: Jahrzehntelange Klimaforschung hat einen umfangreichen Wissensbestand mit hoher Validität hervorgebracht. Zusammenhänge sind auch für Laien leicht erklärt. Jedoch war das Thema nicht von Anfang an Initialzündung für bürgerschaftliches Engagement.
So sehr in der Vergangenheit das Thema in Fachwelt und Bildungsarbeit Anklang fand und beispielsweise durch den Film „Eine unbequeme Wahrheit“ (2006) von Al Gore (Albert Arnold Gore) öffentliche Diskussionen ausgelöst und als Lehrfilm die Umweltbildung bereichert hat, so war es in der politischen Debatte in Anbetracht seiner globalen und für das Leben auf diesem Planeten existentiellen Bedeutung unterrepräsentiert oder immer nur für kurze Zeit im Fokus. Das änderte sich im Jahr 2018: Der Sommer war extrem heiß, die Böden ausgetrocknet und Pflanzen verdorrt. Auch wenn das Wettergeschehen eines einzelnen Jahres allein noch kein Beweis für den Klimawandel sein kann, so wurde der Sommer doch von vielen Menschen als Menetekel und Bestätigung für die Vorhersagen der Klimaforscher wahrgenommen. Es wurde begreifbar: Klimawandel ist kein Problem weit weg auf anderen Kontinenten, sondern es betrifft uns und es betrifft uns bereits jetzt. Gleichzeitig und nicht ohne Zusammenhang begann in Schweden im August 2018 Greta Thunberg ihren Schulstreik für das Klima. Die daraus entstandene Fridays-for-Future-Bewegung schaffte mit Kraft und mit schneller Unterstützung der Wissenschaft eine öffentliche Debatte, der sich auch die Politik nicht mehr entziehen konnte. Die Klimaschutzbewegung ist in der Setzung des Themas in der Öffentlichkeit erfolgreich und weckte in der Zivilgesellschaft neue Hoffnung auf ein Gelingen. Nur scheinbar hat gegenwärtig die Corona-Pandemie das Klimathema abgesetzt. Die Bewegung hat längst erkannt, dass sich die Pandemie als ein weiteres Symptom eines zukunftslosen Lebensstils entpuppt, aber als Exempel in der gesellschaftlichen Debatte längerfristig nicht die Kraft für die Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung haben kann.
Warum Klimaschutz Zivilgesellschaft braucht
Um die ökologischen und sozialen Probleme unserer Welt lösen zu können, braucht es tiefgreifende Veränderungen des Alltagshandelns jedes Einzelnen. Deshalb können diese Probleme nicht allein von der Politik durch Gesetze gelöst werden. Es wird ein Kraftakt aller gesellschaftlichen Akteure, und erst recht in einem demokratischen Rechtsstaat ist die aktive Teilhabe der Zivilgesellschaft und der Bürger*innen an der Transformation Voraussetzung für das Gelingen. Die große Herausforderung zur Lösung der komplexen Probleme liegt längst nicht mehr in der Erzeugung von Wissen, auch nicht in der Konstruktion von Technik, sondern in der Fähigkeit der Gesellschaft kreative Gestaltungsprozesse zu initialisieren und die Potentiale jedes Einzelnen zu nutzen. Die Klimabewegung ist eine Chance, gemeinsam mit den Bürger*innen die Frage zu diskutieren, in welcher Gesellschaft wir leben wollen und den Wandel vom Grund her zu gestalten.
Klimaschutz und bürgerschaftliches Engagement ist eine Symbiose mit Potential!
Voraussetzungen zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und des Klimaschutzes
Die junge Klimaschutzbewegung besteht vor allem aus noch informellen sozialen Strukturen. Mehr oder weniger koordiniert sucht und findet sie Aufmerksamkeit in Öffentlichkeit und Politik. Fridays-For-Future-Engagierte müssen nicht mehr um Aufmerksamkeit kämpfen, sondern werden auf Podiumsdiskussionen und zu Talkshows eingeladen, dürfen in politischen Gremien vorsprechen und werden um Interviews gebeten. Doch ist das keine auf Dauer angelegte Wirkungsmacht. Mitreden heißt nicht unbedingt Mitgestalten und erst recht nicht Mitentscheiden. Um das Engagement längerfristig am Laufen zu halten und einer frustrierten Radikalisierung entgegenzuwirken, braucht es institutionalisierte Beteiligungsstrukturen. Insbesondere die junge Generation sieht sich in Entscheidungsgremien zu Recht unterrepräsentiert. Es ist schick geworden, junge Menschen einzuladen, um nach außen Jugendbeteiligung zu demonstrieren, jedoch reagiert die junge Generation auf Scheinbeteiligung inzwischen sehr sensibel. Voraussetzung für echte Beteiligung ist ernst gemeinte Augenhöhe. Das gilt nicht nur für junge Engagierte.
Bürgerschaftliches Engagement hat aber auch ganz banale Bedürfnisse: Es braucht Orte für gemeinsame Treffen und Büroräume zur Vorbereitung und insbesondere in ländlichen Regionen sowie für das überregionale Engagement auch Geld für Reisetätigkeit. Ob hier die neue Engagementstiftung eine sinnvolle Unterstützung leisten kann, wird sich zeigen. Auch können digitale Konferenzorte neue Chancen für ziviles Engagement schaffen.
Aber selbst wenn die formalen Voraussetzungen für eine nachhaltig erfolgreiche Beteiligung von Zivilgesellschaft geschaffen sind, so liegt die größte Herausforderung darin, ob die Kommunikation zwischen Zivilgesellschaft und anderen Subsystemen unserer Gesellschaft gelingt. Die Denk-Logik und Sprache der Zivilgesellschaft unterscheiden sich deutlich von denen des Staates, der Wirtschaft oder der Wissenschaft. Es bedarf einer Übersetzungsleistung, damit aus einem Verständnis füreinander ein Handeln miteinander werden kann. Ich sehe immer wieder, wie viele gute Projekte von zivilgesellschaftlichen Akteuren am Unverständnis über einen haushaltsrechtskonformen Fördermittelantrag beim Staat scheitern und umgekehrt wohlgemeinte Förderprogramme für Projekte die Zielgruppen nicht ansprechen. Und auch bei den zahlreichen erfolgreichen Projekten der Zivilgesellschaft mit (staatlichen) Fördermitteln zeigt sich, dass es in der Natur eines Projektes liegt, nicht von Dauer zu sein. Es braucht die viel zitierte Entwicklung vom Projekt zur Struktur.
Engagement braucht Bildung zur Bildung einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft
Kein anderes Thema wie der Klimaschutz zeigt so deutlich, dass es ein Weiter-so nicht geben kann. Der notwenige Wandel beginnt in den Köpfen der Menschen, greift über auf Institutionen, die sich wie lernende Organisationen (Peter M. Senge) auf Veränderungen einlassen und eine gesellschaftliche Transformation möglich machen. Diese kreativen Denk- und Gestaltungsprozesse sind das, was von den vereinten Nationen als Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) bezeichnet und in Deutschland mit einem nationalen Aktionsplan als Agenda beschrieben wurde. BNE soll dabei Menschen, Institutionen und Gesellschaften zur kreativen Teilhabe an der nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft befähigen. BNE kann in Konzept und Umsetzung, sowie als Handlungsmaxime wichtige Voraussetzungen für die Zukunft zivilgesellschaftlichen Engagements schaffen. Damit die Agenda nicht nur Papier bleibt, braucht es auch Unterstützung für die vielen oft kleinen Einrichtungen, die mit BNE Gestaltungsprozesse initiieren.
Es ist JETZT noch der richtige Zeitpunkt für geeignete Rahmenbedingungen zu sorgen, um mit der Zivilgesellschaft unsere Demokratie und mit dem Klimaschutz unsere Zukunft zu erhalten.
Autor:
Dirk Hennig ist Vorstandsvorsitzender des FÖF e.V. und politischer Sprecher der FÖJ-Träger in Deutschland (BAK-FÖJ)