Gemeinsam handeln, statt vereinzeln
Bürgerschaftliches Engagement besitzt aufgrund seiner integrativen Funktion einen besonderen Stellenwert bei der Sicherung des sozialen Zusammenhalts und kann als Indikator für gesellschaftliche Teilhabechancen verstanden werden. Vor dem Hintergrund multipler Krisen und gesellschaftlicher Veränderungen steht Engagement heute vor großen Herausforderungen. Eine davon ist: Einsamkeit. Blickt man auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, gehört Einsamkeit zu den drängendsten Fragen unserer Zeit: Weltweit nimmt die Zahl derer, die von Einsamkeit betroffen sind, zu. In Deutschland fühlt sich jeder vierte Erwachsene einsam. Sie gilt als ein Phänomen, das alle Altersgruppen betrifft, obgleich vulnerable Gruppen und Lebensphasen besonders betroffen sind. In der Einsamkeitsforschung wird Einsamkeit definiert als subjektive, aversive und belastende Erfahrung, die aus unzureichenden sinnstiftenden Verbindungen oder einer wahrgenommenen sozialen Isolation resultiert.
Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl und keine Krankheit, doch wird Einsamkeit chronisch, erhöht sich für die Betroffenen das Risiko für psychische und physische Erkrankungen. Darüber hinaus können Einsamkeitsbelastungen Studien zufolge ein Einfallstor für demokratiegefährdende Einstellungen und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (Rassismus, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus, Hetero- /Sexismus, Klassismus) sein. Einsame Menschen haben demnach weniger Vertrauen in ihre Mitmenschen und Institutionen, sind von einer größeren Sorge erfüllt und nehmen die Welt als feindseligeren Ort wahr. Unter jungen Menschen, die sich oft einsam, unverstanden und unverbunden fühlen, ist die Wahrscheinlichkeit bspw. höher, dass sie autoritären Haltungen zustimmen, Verschwörungserzählungen glauben und politische Gewalt billigen. Wie viele Studien bereits belegen, hat die Coronapandemie die Prävalenz von Einsamkeit verstärkt. Der Wunsch nach Kontakt und Zugehörigkeit kann bei einsamen Menschen Narrative befördern, die das Gefühl, zu einer Minderheit zu gehören, verstärken und anfällig machen für Vergemeinschaftungsangebote, wie sie populistische und rechtsextreme Gruppierungen anbieten.
Die Vereinzelung in der Gesellschaft und die Veränderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts machen auch vor der Engagementpraxis nicht halt. In den Wirkfeldern sozial Engagierter ist das Phänomen Einsamkeit deutlich präsent. Nach Angaben des aktuellen Freiwilligensurveys (2019) engagieren sich in Deutschland 39,7 Prozent der Personen ab 14 Jahren. Engagement ist damit ein weitverbreitetes Feld und kann gegen Einsamkeit sowie in der Demokratieförderung eine transformative Kraft erhalten: als doppelte gesellschaftliche Ressource kann es Einsamkeit durch soziale Teilhabe reduzieren und gleichzeitig die demokratische Kultur durch gelebte Partizipation stärken, jedoch braucht Demokratie Orte der Begegnung und niedrigschwellige Beteiligungsformen, um Einsamkeit durch gemeinsames Handeln überwinden zu können.
Literaturverzeichnis
- Schobin, J. / Arriagada, C. / Gibson-Kunze, M. (2024): Einsamkeitsbarometer 2024. Langzeitentwicklung von Einsamkeit in Deutschland. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Berlin, S.9; The U.S. Surgeon General’s Advisory on the Healing Effects of Social Connection and Community, Our Epidemic of Loneliness and Isolation, Washington, D.C., 2023., S. 7.
- Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention, Studie: Weniger Sozialkontakte und Gefühl tiefer Einsamkeit in der Depression (Pressemitteilung), Leipzig 7.11.2023, www.deutsche-depressionshilfe.de/pressematerial-barometer-depression
- Bücker, S. (2021): Einsamkeit – Erkennen, evaluieren und entschlossen entgegentreten. Schriftliche Stellungnahme für die öffentliche Anhörung (Berlin: Deutscher Bundestag), S. 6.
- Peplau, L. A. / Perlman, D. (1982): Loneliness: A sourcebook of current theory, research, and therapy. Wiley-Interscience.
- Zick, A. / Küpper, B. / Mokros, N. (Hrsg.) (2023): Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH, Bonn; Neu, C. / Küpper, B. / Luhmann, M. / Deutsch, M. / Fröhlich, P. (2023): Extrem einsam? Eine Studie zur demokratischen Relevanz von Einsamkeitserfahrungen unter Jugendlichen in Deutschland (Berlin: Das Progressive Zentrum).
- Dohr, D. (2024): Einsamkeit aus der Perspektive von Engagierten: Handlungsansätze aus den Caritas-Konferenzen Deutschlands e. V. – Das Netzwerk von Ehrenamtlichen. In: Sebastian Kießig / Erwin Möde (Hrsg.): Einsamkeit im Alter. Facetten, Konzeptionen und Praxisfelder. Freiburg: Verlag Herder.
- Simonson, J. / Kelle, N. / Kausmann, C. / Tesch-Römer, C. (Hrsg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2019. Empirische Studien zum bürgerschaftlichen Engagement. Springer VS Verlag, Wiesbaden, S. 1. doi.org/10.1007/978-3-658-35317-9
Autorin
Daniela Dohr ist Referentin im Programmbüro Engagierte Stadt beim Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) Kontakt: daniela.dohr@b-b-e.de









