Wolfram Giese sitzt im Rollstuhl, daneben steht eine Frau. Beide blicken in die Kamera, im Hintergrund ist ein Fluss und eine Brücke zu sehen.

Wolfram Giese © privat

Engagement und Inklusion gehören in meinem Leben schon immer zusammen. Als Schüler übernahm ich mein erstes Ehrenamt als Sprecher der körper-behinderten Schülerinnen und Schüler. Danach war ich im Studierenden-Parlament tätig.

Ich war auch im Vorstand des Studierendenwerks, in einem studentischen Förderverein, in Wohnheimbeiräten und Beiräten von Eigentümerinnen und Eigentümern, in Bürgerinnen- und Bürger-Foren und historischen Vereinen tätig. Und auch als aktives Mitglied in der CDU habe ich seit meiner Schulzeit viele ehrenamtliche Aufgaben übernommen.

Mein Engagement hatte schon immer viel mit Barrieren zu tun: mit baulichen Barrieren und vor allem auch mit Barrieren in den Köpfen. Meistens war ich der einzige Mensch mit sichtbarer Behinderung, der sich in den verschiedenen Ehrenämtern engagierte. Und so stand ich immer wieder vor Herausforderungen: Wie komme ich mit meinem Rollstuhl in die Tagungsräume, die nur über Treppen zugänglich sind? Wie kann ich mich als Kreisvorsitzender der Jungen Union engagieren, wenn die Geschäftsstelle nicht barrierefrei ist und ich nicht hineinkomme? Es ist auch schwierig, ein barrierefreies Tagungshotel zu finden, das bezahlbar ist. Trotz der Schwierigkeiten fanden wir oft eine Lösung: zum Beispiel wenn man doch einen geeigneten Raum oder starke Träger fand. Ich werde nie vergessen, wie die Osnabrücker freiwillige Feuerwehr mich in den obersten Stock des Rathauses brachte.

Schwieriger ist es mit den Barrieren in den Köpfen. So gab es manchmal Zweifel, ob ich meine Aufgabe überhaupt ausüben kann. Oder ich spürte, dass manche Menschen es unangenehm fanden, immer nach barrierefreien Orten zu suchen. Oft sollte ich den Vorzeigebehinderten spielen. So erinnere ich mich noch an die Aussage einer Mitstreiterin, die mich für eine Vorstandswahl vorschlug. Begründung: Mit einem behinderten Kandidaten anzutreten, würde sich sicher gut machen. Natürlich setzte ich mich schon immer für Barrierefreiheit ein. Aber auch für Themen, die nichts mit meiner Behinderung zu tun haben. So waren in meinem Engagement zum Beispiel Hochschulpolitik, Sozialpolitik und Stadtentwicklungspolitik meine Themen. Niemand sollte einen Menschen mit Behinderung nur auf seine Behinderung reduzieren. Auch dafür setze ich mich bis heute ein.

Später, als ich als Referent im Bundesministerium für Arbeit und Soziales arbeitete, bekam ich erstmals beruflich mit den Themen Inklusion und Ehrenamt zu tun: Ich übernahm die fachliche Begleitung eines Modellprojekts: dem „Forum inklusive Gesellschaft“ des BBE. Das Forum inklusive Gesellschaft war eine Veranstaltungsreihe. Es trafen sich Menschen, die darüber nachdachten, wie unsere Gesellschaft durch bürgerschaftliches Engagement inklusiver werden kann. Es sollten Ideen und Pläne entstehen, wie inklusives bürgerschaftliches Engagement gefördert werden kann. Und wie inklusives Engagement dabei helfen kann, dass auch Bund und Länder, der Gesetzgeber, zivilgesellschaftliche Organisationen und Unternehmen inklusiver werden. Das Forum inklusive Gesellschaft erarbeitete unterschiedliche Vorschläge: zum Beispiel, dass es ein gesetzliches Anrecht auf Assistenzleistungen im Engagement geben sollte. Oder dass Einrichtungen der Behindertenhilfe und Selbsthilfe Schulungen erhalten sollten, wie inklusives Engagement aussehen kann. Netzwerke sollten über gelungene Beispiele für inklusives Engagement berichten, Checklisten Orientierung bieten.

In dieser Zeit übernahm ich auch einen Sitz im Beirat der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen. Dort gab es das Projekt „Sensibilisieren, Qualifizieren und Begleiten: Freiwilligenagenturen als inklusive Anlauf- und Netzwerkstellen für Engagement weiterentwickeln“. Das Projekt hatte drei Ziele:
1. Sollten Freiwilligenagenturen Fortbildungen bekommen, was Inklusion, Teilhabe oder Barrierefreiheit bedeutet;
2. unterstützte das Projekt die Freiwilligenagenturen dabei, inklusiver zu arbeiten und
3. sollten die Freiwilligenagenturen dafür sorgen, dass Menschen mit Behinderung leichter ein freiwilliges Engagement finden.

All diese Projekte sollen zeigen, dass Menschen mit Behinderung auch selbst im Ehrenamt aktiv werden können . Sie sollen nicht mehr als Menschen gesehen werden, die nur Fürsorge und Hilfe erhalten. Das Ziel ist, dass Menschen mit Behinderung sich als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger mit ihren Fähigkeiten, ihrem Wissen und ihrem Können engagieren können. Dies ist laut Artikel 29b der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) auch ihr Recht. Die deutsche Regierung muss dafür sorgen, dass Menschen mit Behinderungen dieses Recht ausüben können.

Einige wichtige Fortschritte konnten wir schon erreichen: Zum Beispiel haben Menschen mit Behinderung heute das Recht, dass die Kosten für eine Assistenz im Engagement bezahlt werden. Leider immer noch mit einer Einschränkung: Wenn Familie, Freunde, Nachbarn oder nahe Bezugspersonen helfen können, dann sollen als erstes sie beim Engagement unterstützen. Die Arbeit im Netzwerk ist auch schon sehr gut vorangekommen. Viele Freiwilligenagenturen oder Vereine berichten über gute Beispiele für inklusives Engagement. Die größte Herausforderung aber bleibt: Es muss noch viel mehr Menschen klar werden, dass Menschen mit Behinderung Fähigkeiten, Wissen und Können haben, die sie gerne im Engagement einbringen wollen.

Damit dies immer mehr Menschen klar werden kann, brauchen wir Menschen mit Behinderung, die sich einmischen, sich engagieren: zum Beispiel über die Selbsthilfe und Selbstvertretung. Aber vor allem sollten sich Menschen mit Behinderung auch dort einmischen, wo die Entscheidungen getroffen werden: in der Politik.
Dazu kann ich allen Menschen mit Behinderung nur raten - auch aus eigener Erfahrung.


Autor:
Wolfram Giese ist Referent beim Behinderten-Beauftragten und der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Bundestags-Fraktion.