Demonstration © Dominic Wunderlich / Pixabay

Die Jugend ist sauer und sie hat Angst um ihre Zukunft. Das artikuliert sie deutlich seit den ersten Schulstreiks von Fridays for Future (FFF) im Herbst 2018. Dabei geht es überwiegend sehr gemäßigt und fokussiert auf ein Thema zu: Es geht um das Klima.

Auffällig ist: Es sind überwiegend junge, überwiegend weiße Jugendliche auf der Straße, viele Mädchen* und junge Frauen* - und sie haben das Zepter in der Hand, nicht ältere meist weiße männliche soziale Bewegungs- und Politprofis, die Veranstaltungen mit geplanten und abgestimmten Redebeiträgen steuern. Die Jugendlichen möchten schnelle, konkrete und deutliche Schritte sehen, um die Klimakrise zu überwinden. Das ist ihnen wichtiger als Schule, denn wem nützt braves Lernen, wenn die eigene Zukunft absehbar mit einer Vielzahl von existentiellen Einschränkungen verbunden ist, zum Beispiel der, zwangsläufig und weitgehend unverschuldet Zeug*in und Betroffene*r eines rasanten destruktiven Weltklimawandels zu sein.

Wachsende Unterstützung

Seit dem erstem „Skolstrejk för klimatet“ der damals 15jährigen Greta Thunberg am 20. August 2018  und ihrer Ausrufung des Hashtags #fridaysforfuture ist viel Bewegung in die Proteste gekommen. Ihren Streiks folgten viele weitere von tausenden junger Menschen in vielen Ländern der Welt. Inzwischen haben sich Schulterschlüsse mit Netzwerken und Gruppen wie den Scientists, Parents, Entrepreneurs, Writers oder Artists for Future ergeben, und es gibt Diskussionen über Teilnahmen an der doch eher älteren und radikaler auftretenden Extinction Rebellion, einer Protestbewegung ursprünglich aus England kommend, die mit Aktionen des zivilen Ungehorsams wie der Besetzung von Plätzen oder Straßen etwas mehr Sand ins gesellschaftliche Getriebe streuen will als die gemäßigteren FFF.

Wechsel der Generationen

Studien und Analysen über diese neue Protestgeneration ist gemein, dass sie das auffallend junge Alter und die hohe weibliche* Repräsentanz von überwiegend gut gebildeten, überwiegend weißen Jugendlichen feststellen. Klimaproteste also der Privilegierten? Wer ist diese „Klimajugend“, wie sie gern von älteren Menschen genannt wird? Der Begriff, 2019 in der Deutschschweiz zum Wort des Jahres gekürt, suggeriert eine vereinheitlichende Generation, ähnlich denen der „Skeptische Generation“ der 1950er Jahre, der 1968er, Flower Power, Hippies und No Futures der 1970er Jahre oder diverser Generationsbezeichnungen wie Baby Boomer, Generation @, x, y, z, Millennials, Pragmatischen, Optimistischen und weiteren Zuschreibungen von jugendlichen „Kohorten“ der letzten Jahrzehnte. Diese wurden von diversen Jugendforscher*innen mit bestimmten Einstellungen, Lebensgefühlen und stilistischen Vorlieben beschrieben. Nun also die „Klimajugend“.

Aufbruch

FFF-Jugendliche organisieren ihre Veranstaltungen und Proteste selbst, haben mit Greta Thunberg eine eigene noch junge Ikone als beeindruckendes Role Model, verschaffen sich laut, multimedial vernetzt Gehör und haben eine beachtliche Aufmerksamkeitsspanne zwischen aktiver Unterstützung, Anteilnahme, Zuspruch, passiver Unterstützung, arroganter Abwehr (von Liberalen), Empörung (von Konservativen) und offenem Hass (von Klimawandelleugner*innen wie Rechtextremen und Rechtspopulist*innen). Sie bringen Sorgen und Ängste zum Ausdruck, die eine weltweite akute und offensichtliche Berechtigung haben und beschweren sich über Ältere, auch Alternative, die nicht zum Wohl der Jüngeren handeln oder aber mit ihrem Engagement bisher nicht genug ge- und bewirkt haben. Sie legen den Finger in eine akute Wunde, zu deren Heilung es mit ein paar Pflastern nicht getan ist. Das klingt nach Generationenaufbruch – und zwar angesichts eines immer deutlicher sicht- und spürbaren Klimawandels und einer sich rasant verändernden Welt-  nach einem längst überfälligen. Dieser Aufbruch beschreibt eine kollektive Stimmung einer gleichgestimmten Menge, die dabei ist sich zu einer sozialen Bewegung zu formieren; mehr als zu einer Jugendkultur, denn FFF-Aktivist*innen definieren sich weniger über einen bestimmten Style und Soundtrack als über ihre Haltung. Seit der zweiten Jahresshälfte 2019 bezeichnen sich die Jugendlichen denn auch selbst als basisdemokratische Graswurzelbewegung. Auch ihre Zusammenarbeit mit älteren Aktivist*innen vor allem aus der Umweltschutzbewegung deutet darauf hin, dass die Jugendlichen zwar für sich Protestautonomie beanspruchen, aber um des gemeinsamen Zieles wegen auch ein gemeinsames Auftreten mit anderen Protestgruppen zu schätzen wissen. Das legten die großen Klimastreiks im September und November 2019 nahe.

Corona und das Klima: #FightEveryCrisis

Welche Herausforderungen haben diese neu politisierten und sozial bewegten Jugendlichen? Die Faszination und Wirkung von Schulstreiks lassen auf Dauer nach. Auch das hohe Mobilisierungspotential für punktuelle globale Klimastreiks wird sich nicht ständig aufrechterhalten lassen können. Zudem hetzt die rechte Szene gegen Greta Thunberg und andere Aktivist*innen – nach Geflüchteten sind Klimaaktivist*innen ein weiteres Hate Speech-Lieblingsthema in rechten Social-Media-Kreisen. Die Jugendlichen werden also zwangsläufig mit weiteren politischen Themen, Strukturen und Inhalten konfrontiert, zu denen sie sich auch absehbar verhalten müssen. Und nun ist auch FFF, wie die ganze Welt, von der Coronakrise absorbiert – beinahe. Die Bewegung hat anstatt zum vor Ausbruch der Coronakrise geplanten weitgehend analogen Weltklimastreik am 24. April 2020 unter den Hashtags #NetzstreikFürsKlima bzw. #FightEveryCrisis zu überwiegend digitalen Aktionen, zur „größten Videokonferenz der Welt“ ins Internet mobilisiert. Offline-Aktionen wie das u.a. tausendfache Ablegen von Transparenten vor dem Bundestag fanden in enger Abstimmung mit Ordnungsbehörden und alle Corona-Auflagen beachtend statt. FFF will sich vor allem darauf vorbereiten, sich lautstark zu Wort zu melden, wenn es um die Verabschiedung von Konjunktur- und Hilfspaketen vor allem für die Wirtschaft geht. Das Klima soll hier einen zentralen Stellenwert einnehmen. Die Coronakrise sieht die Bewegung auch als Chance: für einen konstruktiven Dialog zwischen den Generationen und einen Welt-Neustart zum Schutz von Klima und Gesundheit. Die Entwicklung der „Klimajugend“ bleibt also spannend, wenn sie nicht in Resignation – nun auch angesichts eigener vielleicht schlechterer Zukunftsperspektiven für Ausbildung und Erwerbsarbeit in der kommenden Wirtschaftskrise, Bevormundung und Vereinnahmung endet. Das weitere Engagement der „Klimajugend“ können wir unterstützen – Unterstützung besteht im Ernstnehmen und der Reflexion der Anliegen, in emanzipatorischer und diversitätsorientierter Partizipation, im Zugeständnis und der Stärkung von Autonomie und im Schutz vor rechter Hetze und Bedrohungen.

Autorin:
Gabriele Rohmann ist Sozialwissenschaftlerin, Journalistin, Mitgründerin und Leiterin des Archivs der Jugendkulturen e. V. Berlin.