Engagiert Inklusion leben: Partnerschaften schmieden, Zusammenhalt stärken, Gesellschaft gemeinsam gestalten

 

Digitale Veranstaltung am 17. September 2021 

Eine gemeinsame Veranstaltung der BBE-Arbeitsgruppe „Engagement und soziale Gerechtigkeit“ und der 17. Woche des Bürgerschaftlichen Engagements

Zusammenfassung

Verfasst von Dörte Maack, Moderation

Mit einem für die Veranstaltung getexteten Gedicht begrüßte die Moderatorin Dörte Maack die rund 80 Teilnehmenden des digitalen Thementags. „Sie sehen mich. Ich sehe Sie nicht, doch ich bin sicher: Wir werden einander blind verstehen“ informierte Dörte Maack mit einem Augenzwinkern und holte so alle Teilnehmer*innen mitten ins Thema „Inklusion“ hinein. Sie ermunterte alle, sich im Chat aktiv an der Veranstaltung zu beteiligen, wovon im weiteren Verlauf viel Gebrauch gemacht wurde.  

Nach der Begrüßung durch Dr. Behzad Förstl, Referent für Netzwerkbetreuung und -entwicklung beim Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE), fragte die Moderatorin die Teilnehmer*innen: „Sind Sie ein Ally? Wer hat Sie zu einem Ally ernannt? Oder haben Sie Allies? Wer sind diese Allies und wie haben Sie diese Allies ausgewählt? Wie arbeiten Sie mit Ihren Allies zusammen?"

Sie versprach den Teilnehmer*innen, dass sie nach dem Vortrag von Gerlinde Bendzuck, Vorsitzende der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V., Antworten auf diese Fragen haben werden. Und vor allem das Konzept Allyship insgesamt besser verstehen werden. Und erkennen können, ob und wie es dazu beitragen kann, Inklusion engagiert zu leben.

Keynote zum Thema Allyship

Die Referentin Gerlinde Bendzuck begann ihre Keynote mit einer Reihe von Begriffen zum Thema: Solidarität, Respekt, Empowerment, Widerstand, Augenhöhe, Haltung, Teilhabe, Partizipation, Bewusstsein, Wissen, Sensibilisierung, Antidiskriminierung und Aktion.

Sie definierte Allyship als ein Konzept der Verbündetenschaft zur Überwindung von Ungleichheit. Und führte aus, dass dieses Konzept in den USA seit Anfang der 1990er Jahre diskutiert wird. In Deutschland ist das Konzept Allyship noch wenig bekannt. Frau Bendzuk betonte, dass diese Keynote der bundesweit erste Versuch ist, das Konzept „Allyship“ auf das bürgerschaftliche Engagement zu übertragen. Laut Bendzuck geht es beim Allyship darum, aus einer privilegierten Position heraus diskriminierungskritisch zu handeln. Als Ally gilt dabei eine Person, die eine gewisse strukturelle Privilegiertheit besitzt und sich mit Menschen verbindet, die diese Privilegien nicht haben, sondern Diskriminierung erfahren. Wenn man ein Ally ist, übernimmt man Verantwortung dafür, die Diskriminierung, die man wahrnimmt, zu überwinden. Bendzuck unterstrich, dass Allyship immer auch bedeutet, die eigene Komfortzone zu verlassen, um zu handeln und somit weit mehr ist als nur der schöne Schein. Die Referentin zitierte aus verschiedenen US-amerikanischen Quellen und empfahl den Teilnehmer*innen den „Guide to Allyship“ von Amélie Lamont zur vertiefenden Lektüre.

Nach Bendzuck, ist die Wirkung, die Allyship erzielen will, soziale Ungleichheit, strukturelle Ungleichbehandlung und Diskriminierung sowie Gewalt gegen marginalisierte Gruppen abzubauen. Allyship will ferner Individuen oder Verbände von marginalisierten Gruppen empowern und ihre persönlichen und kollektiven Ressourcen stärken. Dabei können sowohl Individuen, Gruppen, Verbände und Initiativen sowie staatliche Stellen Allies sein.
Laut Bendzuck hat Allyship in Bezug auf das bürgerschaftliche Engagement eine doppelte Perspektive: Zum einen können Verbände und Initiativen durch Allyship Unterstützung finden und zum anderen geht es um Individuen, die im Sinne von Allyship agieren. Eine Vielzahl von gesellschaftlichen Gruppen kann durch Allyship Unterstützung erfahren: Menschen mit Behinderungen, Menschen aus dem LGBTQ*- Spektrum, Frauen und Mädchen, Senior*innen, Kinder und Jugendliche, Menschen mit Fluchterfahrungen, Menschen aus anderen Ethnien oder Nationalitäten, obdachlose Menschen und Angehörige vieler anderer Gruppen.

Die Anfragen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigen, dass Menschen mit Behinderungen häufig von Diskriminierung betroffen sind. Zudem sind Menschen mit Behinderungen seltener bürgerschaftlich engagiert als die Vergleichsgruppe ohne Behinderungen. Die Beispiele der Referentin zeigen, dass es einen Bedarf gibt, Menschen mit Behinderungen, die sich bürgerlich engagieren möchten, zu unterstützen und vor Diskriminierung zu schützen. Es gibt umfangreiche gesetzliche Grundlagen, die die volle und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gewährleisten sollen. Die UN-Behindertenrechtskonvention legt in Artikel 29 fest, dass Menschen mit Behinderungen den gleichen Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement haben müssen wie Menschen ohne Behinderungen. 

Für einen gleichberechtigten Zugang bedarf es jedoch:  

  • Verlässliche barrierefreie Informationen,  

  • räumliche Barrierefreiheit,  

  • aktive Werbung, um Freiwillige mit Behinderungen für bürgerschaftliches Engagement zu gewinnen,  

  • Sicherstellung, dass Menschen mit Behinderungen die gleichen Chancen und Rechte haben, in Funktionsränge von Organisationen zu kommen sowie  

  • Sicherstellung von Nicht-Diskriminierung innerhalb der Organisation. 

Gabriele Bendzuck plädiert dafür, sich individuell und kollektiv zu verbünden und Potentiale zu suchen anstatt einen „Opferwettkampf“ nach dem Motto „Wer wird am schlimmsten marginalisiert?“ zu inszenieren. Vielmehr gilt es Schnittmengen auszumachen und Synergien zu nutzen.

Sie empfahl, dass Konzept „Allyship“ im bürgerschaftlichen Engagement weiterzuentwickeln und umzusetzen. Die jeweiligen marginalisierten Gruppen sollten dabei unbedingt von Anfang an miteinbezogen werden. Allyshipstrategien sollten verbandsintern oder individuell erarbeitet und verankert werden. Gerlinde Bendzuck schloss ihren Vortrag mit dem Aufruf: „Allyieren wir uns!“

Nach dem Impulsvortrag nahmen 4 Expert*innen auf das Gesagte Bezug, kommentierten und hinterfragten kritisch. 

Philipp Hill, Engagement-Botschafter des Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2021 und Student der Soziologie, warnte vor Missverständnissen bei der Umsetzung von Allyship. So sah er im Klatschen für die Pflegekräfte, das im Vortrag als Beispiel genannt wurde, noch kein Allyship. Dieses Handeln mache strukturelle Missstände kaum zum Thema. Weiter war es ihm ein Anliegen, in die Geschichte zu blicken, um zu verstehen, welche Strukturen uns bisher daran hindern, Allies zu werden. Nach Hill muss Allyship dazu genutzt werden, Ungleichheit zu überwinden und nicht dazu, neue Abhängigkeiten zu schaffen. Er sieht Allyship nicht als technischen Prozess, sondern als soziale Beziehung und sozialen Prozess, in dem lebendiges soziales Lernen stattfinden kann. Er warnt davor, die Gruppen, für die man Allies sein möchte, starr zu definieren. Eindringlich warnte er vor „Inkluwashing“, also davor Allyship zu betreiben, um sich mit Marketing-Kampagnen besser zu profilieren. Er plädierte für eine umfassende gleichberechtigte Beteiligung von den jeweils betroffenen Gruppen im gesamten Prozess des Allyship. Abschließend sprach er eine mögliche Zurückweisung von Allyship seitens marginalisierter Individuen oder Gruppen an. Denn immer entscheiden diese Individuen oder Gruppen selbst, wer für ihre Anliegen ein Ally sein soll und wer nicht.

Die Themenpatin des BBE für Gendergerechtigkeit und Koordinatorin für geschlechtssensible Selbsthilfe in der BAG Selbsthilfe e. V. Nicole Kautz lenkte die Aufmerksamkeit der Teilnehmer*innen auf den Themenkomplex „Allyship und Gleichstellung“. Sie wies darauf hin, dass in Deutschland und überall in der Welt die Gleichstellung von Frauen, Männern und diversen Personen immer noch nicht voll umgesetzt ist. Die Diskriminierung verschärft sich, wenn Frauen und Mädchen eine Beeinträchtigung haben. Die 6,4 Millionen Frauen und Mädchen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen in Deutschland haben häufig keine Zugänge zu gesellschaftlichen Handlungsfeldern wie dem bürgerschaftlichen Engagement. Jedoch möchten diese Gruppe der Frauen und Mädchen gleichberechtigt mitgestalten, mitbestimmen und Verantwortung übernehmen. Anschließend an die Handlungsempfehlungen von Gerlinde Bendzuck nannte Frau Kautz auf der individuellen Ebene das Empowerment und auf der institutionellen Ebene die Öffnung der Machträume insbesondere für Frauen und Mädchen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen. Dabei war es Frau Kautz wichtig, nicht über die Personen zu sprechen, sondern sie selbst als Expertinnen ihrer Lebenssituation sprechen zu lassen.

Kirsten Witte-Abe, ebenfalls Themenpatin für Gendergerechtigkeit des BBE und Verantwortliche für die Verbandsarbeit beim Deutschen Olympischen Sportbund kommentierte den Beitrag von Gerlinde Bendzuck aus der Perspektive einer Institution heraus. Auch sie unterstrich den Ansatz „Nichts über uns ohne uns“ und plädierte für eine gemeinsame Erarbeitung von Handlungskonzepten von Allynehmenden und Allygebenden. Dies war ihr wichtig, weil gerade dieser Aspekt auf der organisationalen Ebene allzu oft vergessen wird. Der DOSB arbeitet bereits gemeinsam mit einem breiten Netzwerk an Themen der Inklusion mit Fokus auf Menschen mit Behinderungen. Diese Arbeit im Netzwerk kann beispielgebend in Bezug auf weitere marginalisierte Gruppen sein. 
Ferner war es Frau Witte-Abe wichtig, Begegnungsmöglichkeiten zwischen Menschen aus diskriminierten Gruppen und Menschen aus privilegierten Gruppen zu ermöglichen, um Wissens- und Erfahrungsaustausch zu ermöglichen, wodurch dann konkrete Maßnahmen angeregt werden können. Schließlich unterstützte sie den Appell „Opferwettkämpfe“ zu vermeiden und stattdessen intersektional zu agieren und Diversität insgesamt viel stärker in den Blick zu nehmen und Projekte übergreifend zu gestalten.

Der Themenpate für Unternehmen und Engagement des BBE und selbständiger Berater Dieter Schöffmann ist seit den 1970er Jahren in sozialen Bewegungen unterwegs und befasst sich viel mit dem Transfer von Know-how im sozialen Bereich insbesondere aus den USA nach Deutschland. Aus seiner Erfahrung heraus, muss man sehr genau prüfen, ob man ein amerikanisches Konzept wie das Allyship tatsächlich eins zu eins auf die deutsche Realität übertragen kann. Er warnte davor, anzunehmen, dass etwas neu ist, allein weil der Begriff neu ist. Er forderte dazu auf, zu betrachten, welche Praxis im Sinne eines Allyships es bereits gibt und was noch fehlt. Aus seiner Sicht tut sich in den drei Feldern Barriereabbau, Inklusion und Partizipation und im Bereich des gesellschaftlichen Wandels bereits etwas. Mit Blick auf Unternehmen sprach er die oft noch zu geringe Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen an und sah hier ein Thema für eine gezielte Kampagne. Er beendete seinen Kommentar mit einem aus seiner Sicht gelungenen Beispiel für Allianzen auf Augenhöhe: einer gemeinsamen Aktion der Mitarbeiter:innen von Cisco Systems und Menschen mit Beeinträchtigungen der Lebenshilfe Essslingen für die Spielplätze in ihrer Stadt. 

Die Diskussion im Chat zeigte viel Interesse, Zustimmung und insgesamt eine Aufbruchsstimmung, um mehr Inklusion umzusetzen, um gemeinsam zu einem noch wirkungsvolleren bürgerschaftlichen Engagement zu gelangen.

Die Moderatorin Dörte Maack dankte zunächst allen Beteiligten, insbesondere den Sprecher*innen der BBE-AG „Bürgerschaftliches Engagement und Soziale Gerechtigkeit“, Tobias Baur, Anna-Katharina Friedrich sowie Peter Wagenknecht, die die Veranstaltung maßgeblich umgesetzt haben und resümierte nach 90 Minuten: Der Vormittag des Thementags geht zu Ende, aber die hier angestoßene Diskussion noch lange nicht.

Workshops

Zukunftsworkshop „Inklusion und Geschlechtergerechtigkeit im Engagement“

Für eine Demokratie ist es sehr wichtig, dass alle Menschen ihre Meinung sagen, politisch mitbestimmen und überall am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Auch Frauen und Mädchen mit Behinderung und chronischer Erkrankung möchten ihr Leben selbst gestalten und ihre eigenen Entscheidungen treffen. Sie wissen selbst am besten, was sie brauchen, was sie können und was sie sich wünschen. Sie sind also Expertinnen ihrer Lebensrealität und somit auch ihrer Interessen und Bedarfe. Doch im freiwilligen Engagement können Frauen und Mädchen mit Behinderung nicht immer selbst entscheiden oder sagen, was sie wollen oder denken. Andere Menschen entscheiden einfach für sie und nehmen Frauen und Mädchen mit Behinderung und chronischer Erkrankung nicht ernst. Wir wollen, dass sich daran etwas ändert. Im Zukunftsworkshops fragen wir nach Erfahrungen, Barrieren und guten Beispielen für eine gerechte Beteiligung von Mädchen und Frauen mit Behinderung: Wie gendergerecht ist Inklusion im Ehrenamt? Sind wir bereit für ein Engagement von Frauen mit Behinderung und chronischer Erkrankung? Und vor allem: Was fehlt für eine wirklich gendergerechte Inklusion im Engagement?

Moderation: Nicole Kautz, BAG Selbsthilfe, und Kirsten Witte-Abe, Deutscher Olympischer Sportbund

Input: Vera Thamm, djk-Sportjugend; Marion Stangl, Netzwerkfrauen Bayern, und Stephanie Klein, Hamburger Sportbund

Präsentation (nicht barrierefrei)

Inklusion in der Praxis: Inklusives Engagement für Natur- und Klimaschutz

Beim Engagement im Natur- und Klimaschutz können alle ihre Fähigkeiten, ihr Wissen und ihr Können einbringen. Und Natur- und Klimaschutz können nur gelingen, wenn alle Menschen mitmachen. Eine sehr gute Gelegenheit für Inklusion. Denn hier treffen sich Menschen mit und ohne Behinderung für ein gemeinsames Ziel. Sie können sich dabei kennenlernen und wertschätzen. Im Workshop zeigen wir gute Beispiele für inklusives Engagement im Natur- und Klimaschutz. Die Teilnehmenden können andere Menschen kennenlernen, Ideen und Kontakte austauschen.

Kurzvortrag: Sabine Wieter, Verwaltung des Biosphären-Reservats Drömling; Sebastian Haack, Wohnheim Etingen der Evangelischen Stiftung Neinstedt; Kristin Klatt, Wohnheim Etingen der Evangelischen Stiftung Neinstedt

Moderation: Anne Schierenberg, Nationale Naturlandschaften e.V., und Dominik Schlotter, BBE

Inklusion und Engagement: Wo stehen wir?

Viele Vereine, Verbände, Initiativen, Stiftungen, gemeinnützige Gesellschaften und Organisationen und Bürgerinitiativen wollen inklusiver werden. Sie wollen, dass Engagement ganz selbstverständlich für Menschen mit und ohne Behinderung möglich ist. Es bleibt jedoch noch viel zu tun. Darüber wollen wir in diesem Workshop nachdenken und sprechen: Wo stehen wir eigentlich beim Thema Inklusion im Engagement? Was brauchen wir noch? Wo liegen die Herausforderungen? Und kann die Digitalisierung für mehr Inklusion im Engagement sorgen? Welche Barrieren gibt es?

Kurzvortrag: Henning Baden, Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt, und Gabi Hager-Königbauer, Anpacken mit Herz

Moderation: Anna-Katharina Friedrich, Sprecherin BBE-Arbeitsgruppe Soziale Gerechtigkeit

Präsentation 1 (nicht barrierefrei)

Präsentation 2 (nicht barrierefrei)

Ergebnisse der Kleingruppen-Diskussionen