Jetzt bin nicht ich die Hilfesuchende, sondern biete Hilfe an!

Am 26. September 2024 fand der digitale Thementag „Soziale Nachhaltigkeit im Engagement“ statt. In Kooperation mit dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) wurde er von der Aktion Mensch veranstaltet und im Rahmen der bundesweiten Woche des bürgerschaftlichen Engagements durchgeführt. Zielgruppe waren Interessierte, die mit Akteur*innen aus Inklusion und Engagement ins Gespräch kommen wollten. Nach einer Keynote ging es in verschiedene Themenforen. Am Nachmittag wurde in mehreren Kleingruppen zum Thema diskutiert. Die digitale Fishbowl „Welche Bedeutung haben neue Engagementformen für Inklusion und soziale Nachhaltigkeit?“ und eine Closing Note beschlossen den Thementag. Rund 70 Teilnehmer*innen tauschten sich aus. Moderiert wurde der Thementag von Thomas Leppert und Svenja Quitsch von der Heldenrat GmbH.

Begrüßt wurden die Anwesenden zunächst von Dr. Lilian Schwalb, Geschäftsführerin des BBE. Sie wies darauf hin, dass in der 20. Woche des bürgerschaftlichen Engagements rund 20.000 Aktionen in Deutschland stattfinden werden. Diese stärkten den gesellschaftlichen Zusammenhalt und regten zum Mitmachen an. Armin von Buttlar, Vorstand Aktion Mensch, wies in seinem Grußwort auf die langjährige erfolgreiche Partnerschaft zwischen BBE und seiner Organisation hin. Auch betonte er, warum bürgerschaftliches Engagement so wichtig sei.

Keynote zu sozialer Nachhaltigkeit – Daniela Dimitrova, Dialoghaus Hamburg

Daniela Dimitrova vom Dialoghaus Hamburg, die im Alter von sechs Jahren plötzlich ihr Augenlicht verlor, führte in das internationale Projekt „Dialog im Dunkeln“ ein. Das sei ein aufregendes und das Leben nachhaltig veränderndes Erlebnis, bei dem die Besucher*innen von blinden Guides in absoluter Dunkelheit geführt werden. Sie erleben alltägliche Umgebungen wie z. B. einen Spaziergang im Park, eine Bootsfahrt oder einen Cafébesuch aus einer völlig neuen Perspektive. Es kommt zu einem Rollentausch, Sehende werden zu Blinden und Blinde zu Sehenden – und vertraute Routinen werden wieder spannend. Mehr als 10 Millionen Besucher*innen haben bereits teilgenommen.

Themenforen 1: „Engagement aus Sicht marginalisierter Gruppen“

Dieses Forum beleuchteet das Engagement marginalisierter Gruppen und thematisierte deren spezifische Bedürfnisse und Herausforderungen. Die Teilnehmer*innen diskutierten in vier Themenforen Erfolge und positive Beispiele aus der Praxis. Zudem wurden bewährte Praktiken ausgetauscht, um das Engagement und die Beteiligung marginalisierter Gruppen zu fördern und Inklusion im gesellschaftlichen Engagement zu stärken.

In das Thema „Migrant*innen und Menschen mit Fluchterfahrung“ führte Dr. Zeynep Sezgin Radandt, Bundeselternnetzwerk der Migrantenorganisationen für Bildung & Teilhabe, ein. Ein Ergebnis des intensiven Austausches war, dass das Thema Ehrenamt noch nicht in allen Gesellschaftsschichten präsent ist. Interessant sei, welche Möglichkeiten es unter anderem in Kommunen gäbe, dass marginalisierte Gruppen mitgenommen werden können, damit auch für diese die Sichtbarkeit in der Gesellschaft da ist.

Über „Menschen mit Beeinträchtigungen“ wurde in einer weiteren Gruppe diskutiert. Robert Dorner, Irre menschlich e. V., hatte hier zunächst von seinen Erfahrungen berichtet.

Michaela Hofmann von der Caritas eröffnete eine weitere parallele Diskussion. 18 Teilnehmer*innen diskutierten über „Finanziell schwache Menschen“. Die ehemalige Sozialarbeiterin meinte, Menschen müssen sich willkommen fühlen. Das sei die größte Hürde, sich zu engagieren. Die Angebote müssen niedrigschwellig sein. Armutsbetroffene müssen wissen, dass sie willkommen sind. Kann ich durch diese offene Tür einfach gehen? Muss ich den angebotenen Kaffee bezahlen? Man sollte auch mit „unverfänglichen“ Themen anfangen, die nicht nur für Armutsbetroffene wichtig sind. Zum Beispiel: Wie spare ich Energie? Von der Projektseite her braucht es verlässliche Ansprechpartner*innen, die sollten nicht nach einem Jahr schon wieder wechseln. Das heißt, die Finanzierung der Projekte muss nachhaltig sein. Und für die Projektarbeit: Es sollte Vielfalt geschaffen, Barrieren und Hemmungen abgebaut werden. Man sollte sich nicht nur mit seinem eigenen Wirkungskreis befassen, so die Diskutierenden. Und ein wichtiges Ergebnis sei: Armutsbetroffene werden als Engagierte anders wahrgenommen. Jetzt sind nicht sie die Hilfesuchenden, sondern sie bieten Hilfe an.

Im vierten Workshop ging es um „Kinder und Jugendliche“. Dewina Leuschner, YoupaN Jugend-Panel zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), erläuterte, wie wichtig die Beteiligung junger Menschen sei: Um eine Gesellschaft für alle zu schaffen, müssen sie sie mitgestalten können. Welche Bedürfnisse haben junge Menschen? Verstehen sie, worum es geht? Wissen sie, was ihre Rolle ist? Haben sie die Möglichkeit, beides mitzugestalten? Sind genutzte Sprache/Medien/Plattformen zugänglich? Welche externen Faktoren behindern aktive Mitarbeit? Erlaubt das Mindset anderer Anwesenden aktive Mitarbeit? Auch eine intergenerationale Zusammenarbeit sei wichtig: 1. Einfluss, Wirksamkeit und Beteiligungsmöglichkeiten müssen klar sein und geteilt werden, 2. Es müssen inklusive Räume geschaffen werden (physisch und zwischenmenschlich), 3. Altersunterschiede sind keine Blockade, sondern ein Geschenk diverser Meinungen, 4. Alle dürfen sich gleichermaßen und gleichberechtigt beteiligen. In der Diskussion wurde herausgearbeitet, dass es noch viel Fremdbestimmung gibt, es fehlen Strukturen, damit sich junge Menschen auch gerne beteiligen wollen. Kinder brauchen schon früh eine Stimme, müssen lernen, dass sie eine Stimme haben, die auch zählt.

Nach der Mittagspause trafen sich fast alle Teilnehmer*innen zum Praxis-Dialog wieder. In kleinen Gruppen konnte man sich austauschen und vernetzen. Diese Möglichkeit wurde rege genutzt.

Themenforen 2: „Organisation und Strukturen“

In diesem Forum wurden die organisatorischen Rahmenbedingungen und Strukturen für inklusives und sozial nachhaltiges Engagement beleuchtet. Diskutiert wurde, welche Maßnahmen notwendig sind, um Engagement-Möglichkeiten zugänglicher und inklusiver zu gestalten, und wie die Stimmen marginalisierter Gruppen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden können. Zudem ging es darum, wie Engagement zur langfristigen sozialen Veränderung und nachhaltigen Entwicklung in Gemeinschaften beitragen kann.

Heiko Kuhnert, Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg (BSVH), führte einen Workshop zum Thema „Digitale Barrierefreiheit im Ehrenamt“ durch. Nach einer kurzen Keynote wurde angeregt diskutiert.

Über „Partnerschaften für soziale Nachhaltigkeit“ referierte Alexander Westheide von der Aktion Mensch in seinem Themenforum. Er betonte die veränderten Rahmenbedingungen. Kosten spielen angesichts einer strukturellen Mittelknappheit der öffentlichen Hand eine große Rolle. In der Folge werden zivilgesellschaftliche Aufgaben und Aufgaben der sozialen Daseinsfürsorge zunehmend privatisiert. In der Gruppe gab es einen intensiven Austausch darüber, wie durch Partnerschaften zwischen sozialen Organisationen untereinander oder zwischen sozialen Organisationen und Unternehmen ein Mehrwert für soziale Nachhaltigkeit geschaffen werden kann. Erfolgreiche Partnerschaften bündeln Ressourcen, Wissen und Netzwerke, um gemeinsam soziale Ziele zu erreichen. Wichtig ist: es muss für beide Partner*innen ein Mehrwert entstehen, damit sie zum Erfolg werden.  

„Lokale Räume für Vielfalt“ war das Thema in einem dritten Themenforum. Jessica Steenbock vom Regenbogen e. V. Kaltenkirchen stellte das Projekt „Inklusion vor Ort" vor. Lokale Räume sind wichtig, um Menschen zu ermutigen, mitzumachen, damit man gemeinsam ins Handeln kommt. Zusammen sollen Hindernisse abgebaut werden und nicht über die Köpfe hinweg. Vor allem Menschen, die sich nicht zutrauen, auf übergeordneter oder politischer Ebene aktiv zu sein, bieten lokale Räume eine Gelegenheit, sich in vertrauter Umgebung einzubringen. Sie bieten Möglichkeiten, gerade diejenigen einzubinden, die sonst eher vergessen werden oder die schwer zu erreichen sind. Wichtig seien, so Jessica Steenbock, neben gemeinsamer Sprache, vertrauenswürdiger Orte und passender Zeiten, auch stabile Ansprechpersonen, Ruhe und Wertschätzung und das alles gerne per Du.

Alina Lange, Internationales Zentrum für Demokratie und Aktion (IZDA), mahnte in ihrem Workshop „Inklusion in Entscheidungsfindungsprozessen“ die Teilhabe an Entscheidungen von Menschen mit Behinderungen an.
 

Der Thementag schloss mit der Digitalen Fishbowl: „Welche Bedeutung haben neue Engagementformen für Inklusion und soziale Nachhaltigkeit?“. Clara Lehmann von der Tafel Akademie und Vanessa Körner, lagfa bayern e. V., begannen die Diskussion zu Fragen wie:

Sind neue (informelle) Engagementformen möglicherweise von Natur aus inklusiver als herkömmliches Engagement? Oder weniger inklusiv? Was bedeuten diese neuen Formen für Inklusion und soziale Nachhaltigkeit? Wie kann man den Risiken begegnen und Potentiale nutzbar machen? Weitere Redner*innen schlossen sich an. Hier ging es in erster Linie um einen Austausch darüber, welche Plattformen zur Ansprache von Freiwilligen genutzt werden, Best-Practice-Beispiele und Nachfragen zum Engagement von Menschen mit körperlicher Behinderung.

Abschließend fasste Vanessa Körner, lagfa bayern e. V., zusammen:

„Um Inklusion im Engagement nachhaltig zu fördern, bedarf es vor allem eines Perspektivwechsels von uns allen: Wie können wir erreichen, dass sich Menschen mit Beeinträchtigungen (auch außerhalb ihrer bestehenden Wirkungsfelder) barrierefrei und partizipativ engagieren können?

Bildung und Sensibilisierung für das Thema sind dafür essenziell. Auch eine positive Haltung, projektbezogene Zusammenarbeit, neue Engagementformen, Begegnungen und Austausch in Netzwerken sowie eine hohe Flexibilität, um auf die vielfältigen Bedürfnisse eingehen zu können, sind dabei unerlässlich“, so Vanessa Körner,

Margarete Meyer, Soziale Stadt Nordrhein-Westfalen, fasste den Thementag in einer Closing Note zusammen.
 

Ein intensiver Thementag ging zu Ende, die Gespräche und Anregungen werden sicher in die weitere Arbeit der Teilnehmer*innen einfließen. Dewina Leuschner von YoupaN fasste zusammen: „Ich war schon oft auf Veranstaltungen zu Inklusion, habe aber selten erlebt, dass wirklich so viel Zeit, Mühe, Liebe und Geld darin investiert wurde, diese Veranstaltungen auch wirklich inklusiv zu gestalten. Ich fand die Gespräche sehr inspirierend und bereichernd und bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, dabei zu sein und das Thema Kinder- und Jugendbeteiligung zu vertreten.“